Haltungserziehung – auch für Pferde

Dieser Artikel ist im Mitteilungsheft des Öst. Kuratoriums für Therapeutisches Reiten, Ausgabe 2006/2 erschienen.

Erwartungen an das Pferd

Bei Haltungsschulung denken wir wahrscheinlich an bestimmte Übungen um die Körperhaltung von Menschen zu verbessern. Dass auch Reitpferde eine spezielle „Gymnastik“ brauchen um ihre Aufgabe – nämlich den Menschen zu tragen – erfüllen zu können, sollte ebenso selbstverständlich sein. Wer mit Pferden in der Therapie arbeitet, hat bestimmte Erwartungen an seinen 4-beinigen Partner. Zum einen sind es die Sensibilität und das Wahrnehmungsvermögen des Pferdes, die einen unschätzbaren Beitrag zum Erfolg der Therapie leisten. Das vorurteilsfreie Annehmen des Menschen, die Fähigkeit auf feine körpersprachliche Signale zu reagieren und die Eigenschaft, im Augenblick zu reagieren sind nur einige Beispiele dafür. 
Neben diesen psychischen Fähigkeiten sind es aber auch die Größe und die Kraft des Pferdes, die wir nutzen. Der „Lastenträger Pferd“ kann einen oder sogar mehrere ReiterInnen gleichzeitig tragen. Darauf vertrauen wir und darauf beruht auch ein Teil der unterschiedlichen Therapieansätze (Getragen werden, Bewegt und Mobilisiert werden, Sanftheit und Stärke erleben, Balance in der Bewegung finden,…).

Pferdegesundheit geht bevor

Da Pferde von Natur aus nicht dazu gebaut sind, Lasten auf ihrem Rücken zu tragen, müssen wir uns als verantwortungsbewusste TrainerInnen und TherapeutInnen auch mit der Frage befassen, wie kann ich mein (Therapie-)Pferd für diese Aufgabe vorbereiten bzw. wie erhalte ich möglichst lange seine Gesundheit? Wie erkenne ich, ob mein Pferd physisch überlastet ist und welche Trainingskonsequenzen folgen daraus? Wer diese Fragen verdrängt setzt das Pferd einem unkalkulierbaren Risiko aus. Der Erfolg der PatientInnen und auch unser persönlicher finanzieller Vorteil dürfen nicht auf Kosten der Pferdegesundheit gehen. Ich möchte Ihnen daher einige Anregungen geben, damit Sie ihr (Therapie-)Pferd zuerst einmal analysieren können.

Analyse als Grundlage

Jeder gute Trainer – egal in welcher Sportart – wird zu Beginn eine Zustandsanalyse machen und anschließend überlegen, was er erreichen möchte und welche Maßnahmen dafür nötig sind. So wollen wir es auch mit den Pferden tun. Eine wichtige Frage ist die nach der „Schiefe“ des Pferdes. Wir wissen, dass jedes Pferd mit der so genannten „Natürlichen Schiefe“ zur Welt kommt, die durch die Lage im Mutterleib entsteht. Wenn Sie nicht genau wissen, ob Ihr Pferd rechts oder links hohl ist, so können sie mit den folgenden Versuchen Antworten bekommen:
Wie lässt Ihr Pferd im Stehen den Hals zur Seite biegen?

Verwenden Sie zum Biegen des Halses ein Stallhalfter oder Knotenhalfter und lassen Sie das Maul in Ruhe. Bleibt Ihr Pferd dabei entspannt stehen oder bewegt es die Hinterhand nach außen oder drängt die Schulter nach innen? Hebt es den Kopf unwillig an? Wohlgemerkt, jedes Pferd kann aus eigenem Antrieb den Hals sogar sehr weit zur Seite biegen. Schon bei dieser Test-Übung erhalten Sie Informationen über die unterschiedliche Dehnfähigkeit der beiden Halsseiten. Ein linkshohles Pferd wird sich lieber nach links biegen lassen. Als nächstes beobachten Sie Ihr Pferd an der Longe. Verwenden Sie dabei Kappzaum oder Knotenhalfter ohne etwaige Hilfszügel. Wir wollen schließlich sehen, wie sich das Pferd verhält, wenn es den Hals frei bewegen kann.

Wie trägt das Pferd den Hals und den Kopf? Ein nach vorne gestreckter Hals gemeinsam mit einem schwingenden Rücken wäre unser Wunschbild. Ein hoch getragener Hals kann durch Verspannung aber natürlich auch durch Nervosität oder Neugier verursacht sein. Trotzdem sollte das Pferd die Dehnungshaltung immer wieder einnehmen. Ist das nicht der Fall, so haben Sie bereits einen Hinweis dafür, dass das Pferd entweder überwiegend nervös/unaufmerksam ist oder aber Verspannung (einen „Haltungsfehler“) in der Bewegung zeigt. 
Stellt das Pferd den Hals auf die Zirkellinie ein oder ist er nach außen gebogen? Lässt das Pferd durch Annehmen/Verkürzen der Longe und „Gegensteuern“ mit der Longierpeitsche an der Schulter den Hals nach innen biegen? Was macht es dabei mit dem Rest des Körpers? Drängt die Schulter dabei nach innen oder/und triftet die Hinterhand nach außen? Wird es schneller? Das sind alles Anzeichen für wenig „Biegefreudigkeit“, die wir bereits im Stehen gestestet haben. Ein nach außen gebogener Hals und eine nach innen „hängende Schulter“ sollte Ihnen zu Denken geben. Mit zusätzlichem Reitergewicht auf diesem Pferd sind Überlastungserscheinungen zu erwarten.

Sie werden auch feststellen, dass Ihr Pferd auf einer Hand leichter zu zirkeln und zu biegen ist. Diese Seite entspricht der hohlen Seite ihres Pferdes. Ist das Pferd z.B. auf der linken Körperhälfte hohl (konkav) so hat das eine Reihe von Auswirkungen auf die Pferdebewegung. Die Muskeln im Hals auf der linken Seite lassen sich nicht so gut dehnen wir rechts. Das Pferd tritt mit dem linken Hinterbein besser unter (meist aber innen vorbei), während das rechte Hinterbein mehr nach hinten schiebt. Das hat natürlich Auswirkungen auf alle Gangarten, das Gleichgewicht des Pferdes (das in dem Fall oft zur rechten Schulter verschoben ist) und beeinflusst somit die Belastung und Abnützung der Gelenke. 
Auch die Pferdebeine geben uns Informationen. Wie ist der Rhythmus der Beine? Geht das Pferd taktrein in der Gangart? Sind die hinteren Beine in den Spuren der Vorderbeine? Welches Hinterbein tritt mehr unter, welches schiebt mehr? Das lässt sich übrigens leichter auf geraden Linien von hinten beobachten.
Insgesamt erhalten Sie durch diese Bewegungsanalyse viele wichtige Hinweise. Notieren Sie alle Auffälligkeiten damit Sie später auch Vergleichsdaten haben oder machen Sie Videoaufnahmen. Sie werden auch feststellen, dass durch Üben dieser Beobachtung ihr Wahrnehmungsvermögen verbessert wird .

Funktionelles Training braucht Zeit

Jetzt haben Sie eine Bestandsaufnahme und sollten einen Plan für das weitere Training festlegen. Gymnastizierung von Pferden ist ein komplexes Thema und sprengt natürlich den Rahmen des Beitrages. Auch kann es besser in der Praxis abgehandelt werden. Ich möchte mich daher auf ein paar einfache Übungen beschränken, die zur Reduzierung der Asymmetrie also dem „Gerade-Biegen“ beitragen.

Biegen im Stehen

Die seitliche Biegung im Hals ist Voraussetzung für eine Vorwärts-Abwärts-Bewegung des Halses. Pferde, die sich im Hals nicht seitlich biegen lassen sind verspannt und somit auch fest im Maul. (Das gilt natürlich auch unter dem Reiter!)

Stellen Sie sich neben ihr Pferd und wie bei o.a. Test-Übung führen Sie den Kopf zur Seite. Das Ziel der Kopf-Bewegung ist zuerst seitlich und tief. Entscheidend ist nicht die Dauer der Biegung sondern dass Ihr Pferd lernt, auf wenig Druck den Kopf bewegen zu lassen, ohne sich zu wehren. Natürlich sollten Sie zuerst wieder ein Knotenhalfter dazu verwenden. „Spielen“ Sie mit der Biegung des Halses. Mit zunehmender Übung können Sie den Kopf auch in höherer Position seitwärts führen.

Biegen in der Bewegung

Wenn Sie den Hals im Stehen biegen und den Kopf in unterschiedliche Positionen bringen können ist es Zeit für die nächste Aufgabe. Führen Sie das Pferd an der Bande und holen dabei den Kopf nach innen (Foto links). Sie werden merken, dass das zu Beginn gar nicht so einfach ist. Manche Pferde drängen mit der Schulter nach innen, heben den Kopf hoch, versuchen davonzulaufen oder bleiben stehen – alles Versuche, sich der Biegung zu entziehen. Verlangen Sie anfangs nur wenige Schritte gebogen und dazwischen lassen Sie das Pferd gestreckt weitergehen. Eine Hand steuert den Kopf und die zweite hält die Schulter auf dem Hufschlag (das ist zu Beginn die schwierigere Aufgabe). Auch jetzt wird das Pferd den Kopf leichter zu seiner hohlen Seite schwenken. Deshalb besonders die „schwierige Seite“ üben.

Wenn diese Übung gut gelingt – d.h. das Pferd bleibt im Tempo unverändert, lässt den Hals seitlich bewegen und bleibt entspannt – haben Sie schon viel erreicht. Nun können Sie auch ohne Bande üben und langsam dazu übergehen, das gebogene Pferd seitlich zu verschieben (von ihnen weg). Somit veranlassen Sie die Pferdebeine zu einer vorwärts/seitwärts- Bewegung. Aus diesen Basisübungen können Sie ein abwechslungsreiches Programm erstellen. Führen auf geraden und gebogenen Linien (versuchen Sie z.B. Schlangenlinien oder (8-er Schleifen), unterschiedliche starke Biegung und Vorwärts-Seitwärts-Abschnitte aber auch Konterbiegung können kombiniert werden.

Wenn Sie dabei besonders darauf achten, die weniger elastische Seite des Pferdes zu dehnen (bei linkshohlen Pferd ist das die linke Seite) so verändern Sie Haltung und Bewegung und wirken ausgleichend. Später können Sie diese Übungen auch im Trab durchführen (Foto rechts). Das fördert auch Ihre Haltung und Kondition!

Nach meiner Erfahrung erzielen diese „Gymnastikeinheiten“ bei verspannten und schiefen Pferden, regelmäßig ausgeführt, deutliche Erfolge. Auch für Jungpferde, ist diese Form der Bodenarbeit sehr nützlich. Sie lernen dabei sich führen und biegen zu lassen und vom Druck der Hand an der Schulter zu weichen. Versuchen Sie auch mit Ihrem Pferd „Haltungserziehung“ zu machen. Es dient nicht nur der Gymnastizierung sondern ist auch eine spannende Art, mit dem Pferd zu spielen.